“Und so bewegt man sich um ihr zu begegnen, sich darüber wundernd, was diese Welt ist.”
- Mary Cassai, New York

Silhouette Silhouette Silhouette

"… Vor ungefähr 100 Jahren hatte die Durchsetzung und Etablierung der Fotografe die Malerei der Notwendigkeit enthoben, ein realistisches Abbild von der Wirklichkeit zu liefern. In jenem Maße, wie die Postkarten und der aufkommende Bildjournalismus die Bedürfnisse nach Wiedererkennen des äusseren Scheins erfüllten, konnte die Malerei schrittweise den Weg in die Abstraktion gehen. Was sich im Expressionismus und im Kubismus an Formvereinfachung und Formverringerung andeutete und dann 60 Jahre später in der völligen Abstraktion einer monochromen Malerei von Yves Klein kulminierte, wurde zum Inbegriff für die Kunst in der Epoche der Moderne. Heute, in der Ära der Postmoderne, sind es vielleicht die computergenerierten und –manipulierten bzw. die multimedialen virtuellen Bilder, die der Stoffichkeit von Farbe in der Malerei eine neue Bedeutung verleihen.

Insofern bewegt sich Sigrid Mertin mit ihrer Malerei innerhalb einer Zeitstimmung, die in der Malerei weiterhin das Vertrauen in ein Bild sucht, das Ausdruck einer unmittelbaren und damit 'authentisch' fxierten Empfndung ist. Dies geschieht in einer allgemeinen kulturellen Bewusstseinslage, in der gleichzeitig das Vertrauen in die Wahrhaftigkeit der Medienbilder erschüttert ist. Gerade die Malerei gibt dem 'Bild an sich' eine humane Dimension zurück, die das Medienbild entäussert hat, und zwar nicht aufgrund seines technischen Charakters, sondern aufgrund seiner repressiven Auswüchse, die alle und jeden zwingen, sich 'mediengerecht' zu verhalten.

Daraus legitimiert sich die Malerei als eine künstlerische Disziplin, deren innere Gesetzmäßigkeiten auch weiterhin gültig sein werden. Zu ihren wesentlichen Eigenschaften zählt das Handgemachte bzw. Handgeniale, was die Maler früher noch mit dem Zusatz 'fecit' (=hat gemacht) zur Signatur auszudrücken pfegten. Und daraus ergibt sich auch die Bedeutung der Malerei als 'Kulturwert' in der Massengesellschaft – fotokopierten Bildern, einfachen Posterdrucken und Computergrafk haftet hingegen das Odium der Billigkeit an.

Und gerade die Bilder Sigrid Mertins verweisen noch auf eine weitere wesentliche 'innere' Eigenschaft der Malerei im Unterschied zu anderen Bildarten: Sie ist immer persönlichkeitsstilistischer Ausdruck eines höchst eigenen, individuellen wie subjektiven Erlebnis-, Empfindungs- und Erkenntniszusammenhangs. Sigrid Mertin konstituiert Bilder, deren Intuitivität sich mit einem abstrakt-expressiven Impetus verbindet. Mit ihrer Betonung einer sehr persönlichen Sphäre verweisen sie gleichzeitig auf die grundsätzliche Bedeutung der Kunst, einen Selbstentwurf an Welt zu leisten bzw. symbolisch wie real eine direkte und persönliche Verfügbarkeit über die Welt einzulösen. …"

"… Hier spielen grundlegende Phänomene eine Rolle, prozeßorientiert materialgeleitet kommuniziert Sigrid Mertin mit den Farbfächen, die in der Tonigkeit kontrastieren und durch den Pinselduktus gegeneinander geführt sind. So entstehen gegenläufge Bewegungen, im rechten Winkel aufeinander oder aneinander gesetzte Formen. Farblandschaften, die auf ein Zentrum hin gebaut sind. Landschaften, ja fast Kontinente, in einem starken Bild mit einer großen Offenheit für die Assoziationen des Betrachters. Das Bild erlaubt abstrakte Formenfindung, doch dann, wenn mal länger bei dem Bild bleibt, entstehen Arme, Beine, ein Kopf in Schwarz, blaue Köpfe im Hintergrund. Ein Bild, das beweist, welch ungemeine Kraft die freie Malerei hat. …

Sigrid Mertins Bilder [machen] neugierig wie aufgeschlagene Bücher, Rhythmen von Farben und Formen, die aufhorchen und aufsehen lassen. … Sigrid ist die Geheimnisvolle, die nicht so gerne über Bilder redet, die lieber ihre Bilder reden lässt. …"

"… Und diese Ausstellung ist ein Ereignis. Denn da wird nicht das graphische Werk einer Malerin präsentiert, die u.a. auch zeichnet. Hier geht es nicht um Studien oder Skizzen zu Gemälden, sondern um eigenständige Werke, die als Sequenz, aber auch jedes für sich einen ganzen Raum füllen könnten. Thema ist der Tanz, der Rhythmus, die Bewegung – gezeichnet mit unglaublicher Dynamik.

Entstanden sind die kleinformatigen Bilder während Sigrid Mertin u.a. bei Theaterproben und Tanzworkshops in einer Ecke saß, ein Bündel Stifte neben sich und einen Block. Mit fiegenden Händen blitzschnell die Stifte wechselnd, bannte sie die Bewegungen der Tänzer auf ein Blatt Papier. Dabei wurde ihre Aktion oft selbst zum Ereignis – ungläubig sahen die Zuschauer, die sich nach und nach um sie scharten, wie der gesehene Tanz zu farbigen Linien wurde.

So entstanden und entstehen expressive Bilder, die vor Lebendigkeit sprühen. Das liegt vor allem an dem unumkehrbaren Prozess des Entstehens (…) – sie malt die Bewegung, die im selben Moment, da sie von ihrem Blatt aufblickt, schon wieder eine andere ist. In einem unglaublichen Tempo. (…) Aber auch die Proportion, die Haltung der Figur und die Platzierung auf dem Blatt sind mit so schlafwandlerischer Sicherheit gesetzt, dass der Betrachter nur staunen kann.

Und dann die Farben, die sie während des Entstehungsprozesses blitzschnell wechselt – und die, wie sie selber sagt, ihre Emotionen und ihre Wahrnehmungen der Szene wiedergeben: v.a. Blau und Rot, aber auch Ocker, Weiß und Türkis. Allein in Schwarz auf Weiß (oder Weiß auf Schwarz) wäre der Ausdruck verfehlt, die Dynamik nicht so kraftvoll, würden die Linien nicht entsprechen hervortreten oder zurückweichen.

Schließlich das Wichtigste an der Zeichnung: die Linie. Der unruhige – fast wie hingekritzelt wirkende Strich beinhaltet in seinem Gestus die Verheißung der Bewegung. Und die Bewegung des Stifts fängt den Tanz ein als Wellen, die ab und an sich zu Knäulen verdichten, um sich dann im nächsten Moment wieder zu entwirren.

Sigrid Mertin fängt das Wesen des Tanzes, das Wesen der Bewegung – der Rhythmuswelten – ein, lässt es auf dem Papier lebendig werden. Dabei geht es nicht um Individuen – es geht um die Bewegung an sich – um Körper, sie sich drehen, bemalt werden oder die Kleidung von sich schleudern.

(…) Dabei ist die Zeichnung nie eindeutig – immer wieder kann der Betrachter auf Spurensuche gehen und wird Neues in den Bildern entdecken. Etwas für Sigrid Mertin Typisches, das auch in ihren Gemälden wiederzufnden ist. (…) Es sind 'Bilder auf den zweiten Blick', Bilder, bei denen das Auge auf Spurensuche gehen kann. Dabei ist das Sujet ganz unterschiedlich: von figürlichen Szenen bis hin zu rein abstrakten Farbfächen durchbrochen mit rhythmischen Linien und Einritzungen auf der Bildoberfäche.

Sowohl bei den Zeichnungen als auch bei den Gemälden wird der Prozess des Entstehens deutlich und ist für die Kunst essentiell. Konzeptkunst liegt der Künstlerin fern. Konzept ist hier die Kunst an sich, nicht das Konzept zur Kunst. Die Idee ist immanent – mit dem Strich entsteht der gesehene Tanz als gezeichneter Tanz neu, wird festgehalten, aber erstarrt nicht, sondern wird auf neue Weise lebendig.

Was, lernt man Sigrid Mertin kennen, vollkommen logisch ist. Sie lebt und liebt ihre Kunst. Die Lebendigkeit ihres Oeuvres – das ist Sigrid Mertin. (…) [Sie] schärft ihren Blick immer wieder. Vielleicht auch dadurch, dass sie immer wieder auf Reisen ist uns sich für die Weilt, die großen und kleinen Dinge interessiert, sind ihre Arbeiten so ausdrucksstark. Sigrid Mertin ist eine Frau und Künstlerin, die ihres Seele öffnet und die uns an ihrem Blick auf die Welt, an ihrer Wahrnehmung als Mensch und Künstler teilhaben lässt. Geehrt wurde sie dafür u.a. mit Auszeichnungen in Frankreich und mit internationaler Anerkennung, wie Ausstellungen in Tunis oder New York.

Immer – schon als Kind – so sagte sie mir, habe sie gezeichnet und gemalt. Und deshalb möchte ich mit einem Zitat von Claude Monet enden, das meiner Ansicht nach das Wesen der Kunst Sigrid Mertins auf den Punkt bringt:"

"Ich male, wie ein Vogel singt"


Tänzerische Leichtigkeit in der virtuosen Erfassung des Wesentlichen

"… Denn schließlich besteht ja gerade bei der Zeichnung die virtuose Erfassung des Wesentlichen prinzipiell in der Kunst des Weglassens, und dies macht eben auch hier die künstlerische Überzeugungskraft der Zeichnungen aus. Diese Behandlung der Linienführung ermöglicht der Künstlerin dann auch, den Ballast kunsthistorischer Vorbilder konsequent hinter sich zu lassen. …"